Kraft einer normalen Radioshow

von Wolfgang Behrens

Heidelberg, 30. April 2016. Von einer derart durchschlagenden Wirkung kann interventionistische Kunst im Grunde bis heute träumen: Als die Radiostation CBS im Oktober 1938 Orson Welles' Hörspiel "Krieg der Welten" zur besten Sendezeit in die amerikanischen Wohnzimmer schickte, sollen – so berichteten es in den folgenden Tagen aufgeregte Zeitungsmeldungen – viele Hörer den Inhalt für bare Münze genommen und sofort Zurüstungen für die offenbar gerade stattfindende Invasion der Marsianer getroffen haben.

Diese Verwechslung von Fiktion und Realität war von der Form des Hörspiels provoziert: Es entwickelte sich – übrigens nach einem vorher deutlich erfolgten Hinweis auf den fiktiven Charakter der Sendung – aus der Normalität einer Radioshow heraus, in die nach und nach Meldungen von ungewöhnlichen Aktivitäten auf dem Mars eingestreut wurden.

Verschiebungen in die Fiktion

Man könnte über die Leichtgläubigkeit der damaligen Hörer*innen lächeln. Doch ein durchaus berechtigter Respekt davor, panische Reaktionen auszulösen, ist den Machern von Massenmedien seit jenem Welles'schen Urknall geblieben. Noch kürzlich hat die ARD die Idee Til Schweigers verhindert, die "Tatort"-Folge "Fegefeuer" übergangslos nach der Tagesschau mit einer Geiselnahme im Nachrichtenstudio beginnen zu lassen – der Vorspann musste herhalten, um den Krimi als Fiktion zu kennzeichnen.

Krieg der Welten1 700 Stephan WalzlVideoeinspieler, Rückkopplungspfeifen, Ausbrechen aus der Normalität in "Krieg der Welten" © Stephan Walzl

Den Effekt von Welles' Hörspiel kann Theater nur schwer reproduzieren: Es müsste schon eine normale "Hamlet"-Aufführung vortäuschen, die dann wie auch immer entgleist. Luise Voigt und ihr Team vom Oldenburgischen Staatstheater haben das erst gar nicht versucht – stattdessen erzeugen sie auf der Bühne vor den Augen und Ohren der Zuschauer*innen die nahezu perfekte Illusion einer NDR2-Radiosendung, die in inhaltlicher Analogie zu Orson Welles' Hörspiel nach und nach zerfällt.

"Können Sie mich hören?"

Und sie machen das, man kann es nicht anders sagen, fulminant. Die routiniert sachliche Nachrichtenstimme Pirmin Sedlmeirs, der auch gleich seine Korrespondenten mitspricht, das abgezirkelte Gute-Laune-Säuseln des Moderators Rajko Geith, die fahrige Leutseligkeit des interviewten Wissenschaftlers Thomas Lichtenstein – das alles trifft einen bestimmten Radiosound mit so gespenstischer wie hochkomischer Präzision.

Der Zerfall spielt sich dann auf zwei Ebenen ab: Zum einen ergibt er sich schlicht aus dem Aktionismus, der mit den immer neu eintreffenden Nachrichten von einschlagenden Marsobjekten etc. ins Studio einzieht: missglückte Live-Schaltungen ("Können Sie mich hören?"), die zunehmende Verunsicherung in der Stimme des Moderators Geith, zugleich die ständigen Beteuerungen, alles unter Kontrolle zu haben. Auf dieser Ebene bietet die Aufführung nicht zuletzt die genaue Analyse eines rasant leerdrehenden Katastrophenjournalismus.

Massenpanik und Illusion

Auf einer anderen Ebene aber lässt Luise Voigt die Sendungsillusion selbst zerfallen: atmosphärische Videozuspielungen, Stille-Einbrüche, von den Schauspielern brillant performte stimmliche Gleichlaufschwankungen, Aussetzer oder seltsame Rückkopplungs-Effekte – mit derartigen Verfremdungen bricht die Radioshow auch auf der Stufe der ästhetischen Wahrnehmung langsam auseinander.

Luise Voigts "Krieg der Welten" ist somit keine Studie über Massenpanik. Eher schon eine über die Erzeugung von Illusion. Vor allem aber ist dieser "Krieg der Welten" ein intelligentes, musikalisches und höchst artifizielles Spiel. Ein bisschen l'art pour l'art vielleicht. Alles andere jedenfalls als interventionistische Kunst. Und man möchte sagen: zum Glück!

Krieg der Welten
nach Motiven eines Hörspiels von Orson Welles und Howard Koch
Bearbeitung für die Bühne von Luise Voigt und Jonas Hennicke
Gastspiel Uraufführung Oldenburgisches Staatstheater
Regie und Raum: Luise Voigt, Sounddesign: Björn SC Deigner, Dramaturgie: Jonas Hennicke, Video: Christopher Fromm, Luise Voigt, Licht: Arne Waldl, Ton: Malte Alber.
Mit: Rajko Geith, Thomas Lichtenstein, Pirmin Sedlmeir.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater.de



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