Frau entsorgt, Mission erfüllt

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 1. Mai 2016. Einfach fest aufstampfen und voll wild tanzen, wie damals mit zwanzig, dann bleibt die Realität hoffentlich auf Abstand, so ticken die Mütter. Die zehnjährigen Töchter dagegen rollen die Augen und managen genervt den Familienalltag. - Ein klares Bild muss reichen für einen Theaterabend, das ist Minimalregie. Die Steigerung ist: ein klares Bild für zwei Theaterabende. "Und dann kam Mirna", Sibylle Bergs pointenfunkelnder Abgesang aufs Familienidyll, funktioniert in der Regie von Sebastian Nübling exakt wie dessen Vorläufer. "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen", beides Produktionen des Berliner Maxim Gorki Theaters. Neu sind die Kinder, die der zum kraftlosen Dauer-Ritual degradierten Lebenswut-Choreographie von Tabea Martin entgegentreten. Vier knallharte kleine Realistinnen in Hotpants, in deren funkelnden Augen die planlosen, haltlosen Mütter ihr eigenes Versagen gespiegelt sehen.

Töchter-Mütter-Drama

Bergs ehemals toughe Protagonistin ist mit Mitte/Ende 20 irgendwie in dieses Schwangerschaftsdings hineingeschliddert. Ein unperfekter Typ auf einer öden Party, peinlicher Sex, so ne Art Beziehung – und plötzlich muss man über Absurditäten wie ironisch gemeinte Vornamen oder Wassergeburt diskutieren. Der Typ wird bald zügig abserviert, um ein Minimum an Freiheit zu verteidigen, die geht dann allerdings zwischen vollen Windeln und hirnlosem Babytalk verloren. Bitterböse Analysen über die "Frauenentsorgungsmaßnahme" Mutterschaft wechseln sich in schneller Folge mit mitfühlend gezeichneten Einsamkeitsmonologen ab. Suna Gürler, Rahel Jankowski, Cynthia Micas und Çiğdem Teke sprechen fast durchweg im Chor, dabei aber nicht streng durchgetaktet sondern mit jeweils eigener Intonation. Das wirkt angenehm locker, geht manchmal aber auf Kosten der Verständlichkeit.

unddannkammirna1 700 ute langkafel maifotoGerockt oder geschlittert in die Mutterschaft? "Und dann kam Mirna", Sibylle Bergs Nachfolgestück der vier angry young
women, es spielen: Suna Gürler, Çigdem Teke, Rahel Jankowski, Cynthias Micas © Ute Langkafel / Maifoto

Als finalen Rettungsschuss gegen die Vereinzelung beschließen die Protagonistin und ihre drei ehemals besten Freundinnen, gemeinsam mit ihren pubertären Kindern in ein Holzhaus aufs Land zu ziehen. "Langeweile, Engstirnigkeit, Fremdenhass und Intoleranz, Selbstmord homosexueller Jugendlicher", fasst Mirna die Zukunftsaussichten zusammen, zumindest in Sachen Sarkasmus ganz die Mama. Auch ihr Text wird meist chorisch gesprochen – womit auf der formalen Ebene allerdings die letzte Chance auf Abwechslung verschenkt ist.

Sehnsucht nach Struktur

Ansonsten ist Mirna naturgemäß das konsequente Gegenteil ihrer Mutter. Sie zeigt sich zielsicher, unsentimental und vor allem verdammt erwachsen und die vier Mädchen zwischen acht und zwölf Jahren spielen das beängstigend gut. Während die Mutter mit ihrer Dauerverunsicherung nie hinterm Berg hält, sehnt sich Mirna – wir erinnern uns an das Eröffnungsstück Der Mann aus Oklahoma – nach Struktur und spießiger Normalität, inklusive Vater.

Trotzdem wird sie es sein, die die Katastrophe Uckermark letztlich auf eher unorthodoxe Weise verhindert. Am Ende sind sämtliche Illusionen von Familienglück, feministischen Errungenschaften, Freundschaft und Individualität zumindest sprachlich furios von der Bühne gefegt. Da liegen sie, zusammen mit all den Aktenordnern, Klamotten, Kuscheltieren und der schlechten Musik, die Mirna die letzten 70 Minuten über energisch aussortiert und ins Parkett gepfeffert hat, um endlich Ordnung in dieses Scheißfamilienleben zu bringen.


Und dann kam Mirna
von Sibylle Berg
Gastspiel Uraufführung Maxim Gorki Theater Berlin
Regie: Sebastian Nübling, Choreografie: Tabea Martin, Bühne: Magda Willi, Moïra Gilliéron, Kostüme: Ursula Leuenberger, Dramaturgie: Katja Hagedorn.
Mit: Sarah Böcker, Aydanur Gürkan, Suna Gürler, Rahel Jankowski, Nilu Kellner, Cynthia Micas, Fée Mühlemann, Amba Peduto, Zoé Rügen, Marie Carlota Schmidt, Çiğdem Teke, Annika Weitzendorf
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.gorki.de


 

Und dann kam Mirna – Sebastian Nübling inszeniert Sibylle Bergs Familien-Horrorshow nach bewährtem Rezept

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