Das Singen wird es bringen

von Georg Kasch

Heidelberg, 5. Mai 2016. Wovon man nur schwer sprechen kann, davon kann man vielleicht – singen? Das mögen sich Cecilie Ullerup Schmidt und Andreas Liebmann gedacht haben, als sie ihren Abend "Exodus" entwickelten. Der erzählt davon, wie die beiden Künstler mit ihrer kleinen Tochter im Urlaub durch Sizilien reisen, dort vergeblich ein Flüchtlingscamp suchen und zufällig neun Flüchtenden aus Nigeria begegnen. Der Deal: Sie singen einander Lieder vor. Kulturaustausch auf Augenhöhe sozusagen.

exodus 8738 c Florian KraussDie Bänkelsänger des Exodus: Cecilie Ullerup Schmidt und
Andreas Liebmann © Florian Krauss
An Spannung gewinnt die schlichte Erzählung zum einen durch die Form. Als Bänkelsänger kommen Schmidt und Liebmann auf die erhöhte Bühne, in Renaissance-Kostümen aus Jeans-Stoffen (die Ausstattung stammt von Monster Trucker Manuel Gerst), hinten ziehen sie an einer ebenfalls jeansblauen Stoffrolle, die nach und nach die Kapitel anzeigt wie eine frühneuzeitliche Handschrift. Schmidt spielt auf Gitarre und Blockflöte, Liebmann auf seinem Cello; einmal mischt sich vom Technikpult aus auch eine Geige ein. In grobe, reimlose Verse gehauen, bekommt das erzählte Geschehen etwas Archaisches, rückt es in eine raunende Ferne, um durch diese Verfremdung den Zuschauer-Blick zu schärfen.

Pingpong mit dem Flüchtling

Spannung entsteht aber auch, weil Schmidt und Liebmann ihre etwas naive Ausgangssituation – wir strecken den Anderen die Hände aus, dann wird's schon werden – als hilflosen Versuch kennzeichnen, ohne das wiederum an die große Glocke zu hängen. Nachdem wir in groben Umrissen die oft von Gewalt geprägten Migrationsgeschichten von Christian, Princely und den Anderen erfahren haben, sie ein Gesicht bekommen, erzählen Schmidt und Liebmann die ihre: Sie kam aus Schweden nach Berlin, er aus der Schweiz, beide wegen der Arbeit, beide ohne Probleme. Ist ja schließlich Europa hier. Augenhöhe? Bei den Vorbedingungen?

Am schönsten ist der Moment, als Liebmann unter Ganzkörpereinsatz von einem Pingpongspiel mit einem der Angekommenen berichtet. Da bricht er aus dem Rhythmus aus, verheddert sich im Text, rutscht zwischen dem Englischen und dem Deutschen hin und her. Eine tolle Entsprechung der Tatsache, dass er sich im Spiel vollkommen von seinem Ehrgeiz hinreißen lässt, bis er sich denkt: Darf ich jetzt den Flüchtling besiegen? Erst lässt er ihn aufschließen, dann packt ihn wieder der Siegeswille. Schließlich spielen die beiden endlose Runden, bis im verbissenen Spiel wirklich so etwas wie eine gleichberechtigte Begegnung aufscheint.

Intime Fremdheit

Ein wenig erinnert "Exodus" in seiner Machart an das mehrteilige "Life & Times"-Projekt des Nature Theater of Oklahoma – Performance-Theater, das aus einer überschaubaren Anzahl an musikalischen Themen rezitativisch höhepunktarme, ziemlich naive Alltagsgeschichten erzählt. Aber einerseits ist "Exodus" viel zu kurz, um einem mit seinem schlichten Balladenton produktiv auf die Nerven zu gehen. Andererseits erzählt es eine Geschichte, die dann doch klüger ist, als sie zunächst scheint. Nur der Versuch scheitert, das Publikum mit der Aufforderung ins Boot zu holen, den Refrain-Vers "The tale of the new Europeans" mitzusingen. Schade: In den wenigen Momenten, wo es halbwegs funktioniert, entsteht eine Ahnung von Gemeinschaft, die in ihrer intimen Fremdheit – wo bitte singt man heute noch unter Unbekannten zusammen außer im Stadion? – eine schöne Entsprechung der sizilianischen Urlaubsepisode ist.

 

 

Exodus
von Cecilie Ullerup Schmidt und Andreas Liebmann
Uraufführung
Konzept und Performance: Cecilie Ullerup Schmidt, Andreas Liebmann, Bühne und Kostüme: Manuel Gerst, Kostümmitarbeit: Lena Buchwald, Musik: Matthias Meppelink, Licht: Annegret Schalke, Dramaturgie: Tanja Diers.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.andreasliebmann.net/exodus.html

 

 

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