Detective Ray rettet die Welt

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 29. April 2016. Eltern sind immer peinlich. Eltern aber, die ihre Kinder mit dem eigenen Versagen und intimen Details belästigen, sind zum Davonlaufen! Wenn man gerade mal dreizehn ist und nicht sehr mutig, wenn man jedes Mal erst "Kann ich jetzt gehen?" fragen und zum Abendessen wieder zu Hause sein muss, empfiehlt sich allerdings eher das Abtauchen in eine solide Parallelwelt. Gedacht, getan, aus dem schlaksigen Fred (Fabian Oehl), der sich selbst im Klassenranking unter die "Komischen" einordnet, wird der abgebrühte dirty detective Ray: ein Arschloch, ein Frauenheld, ein wortkarger Macher im Trenchcoat.

Diese zwei Teenager-Welten hat Lukas Linder zu seiner Coming-of-age-Komödie "Der Mann aus Oklahoma" verwoben und damit 2015 den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts abgeräumt. Die Uraufführung fand bei den Ruhrfestspielen statt. Dass es als Gewinnerstück dennoch das diesjährige Festival eröffnet ist konsequent, versucht der Stückemarkt doch mit der Reihe "Nachgespielt" auch den Gegentrend zum ewigen Uraufführungs-Hype zu installieren. Robin Telfer inszeniert es unterhaltsam, schnell und sweet, ein charmanter, aber auch schmerzvermeidender Auftakt.

Der Erwachsene als Ärgernis

"Familienraaaat" plärrt Freds Mutter, Nicole Averkamp, mit wunderbar leidendem Augenaufschlag unter aufgelöster Lockenperücke, und das tut sie schon seit Stunden. Freds Entschuldigung, "ich war doch in der Schule", kontert sie mit der unschlagbaren Ansage: "Wenn jeder macht, was er will, ist das der Untergang der Mutter." So funktionieren Linders abstruse Dialogfeuerwerke und sie sind es, die den Abend mit entwaffnendem Witz vorantreiben. Die folgende Eröffnung, sein Vater sei abgehauen, hat Fred noch gar nicht ganz begriffen, da steht bereits die nächste Katastrophe in der Tür: braungebrannt, überweiße Zähne, ganz schlechte Kumpelattitüde. Es ist Fittnesscoach Ehrlicher (Steffen Gangloff), der neue Lover seiner Mutter.Oklahoma2 700 Annemone TaakeLässiges Spiel vor Halfpipe-Häusern: Florian Mania (Chris) und Fabian Ohel (Fred alias Ray) © Annemone Taake

Die schiere Blödheit, Egozentrik und die ständigen Grenzüberschreitungen dieser Erwachsenen setzen sich in der Schule fort. Dort herrschen Elitenverehrung, Dominanzgehabe und Angst vor Kreativität. Fred hätte allen Grund zur Depression, wären da nicht die schlagfertige Astrid (Sheila Eckhardt), Tochter eines abgewrackten Ex-Ringers, die immer alles "überbewertet" findet, und Chris (Florian Mania), der den Reichtum seiner Eltern jederzeit für eine gute Pointe im Lässigkeits-Wortgefecht opfern würde. Vereint im Kampf gegen elterliche Unfähigkeit, fangen sie an, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Wenn Mütter bereuen

Das Stück durchwabert eine seltsame Sehnsucht nach starken Vätern. Statt sauer über den Verrat des Vaters zu sein, imaginiert Fred ihm tatsächlich mit leuchtenden Augen ein neues Leben an der Seite einer atemberaubenden Filmblondine. Seine Mutter dagegen wird zur empathiefreien Egomanin stilisiert. Manchmal allerdings trotzt Nicole Averkamp ihrer Rolle eine traurige Abgründigkeit ab. Wenn sie etwa allein auf der mit Graffiti besprühten Mauer am Rand von Katharina Andes' Bühne, einer zur Halfpipe aufgerollten grauen Häuserfassade, sitzt, trinkt und Probleme wälzt.

Plötzlich hat sie das klare Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren wird. Das hatte sie schon einmal, in der Nacht, als ihr Sohn auf die Welt kam. Als sie allein in einem Bus voller gesichtslos grauer Menschen zum Krankenhaus fuhr, als ihr schwarz vor Augen wurde und bis heute "nicht wieder richtig hell". Aus der komischen Alten wird mit einem Mal eine Frau, die die Mutterschaft, den Verlust ihres selbstbestimmten Lebens, tief bereut, ein Gefühl, das trotz der regen Debatte um Orna Donaths Studie "Regretting Motherhood" bis heute vielfach als unmoralisch angesehen wird. Mehr zum Thema ist im Festival-Gastspiel des Berliner Gorki-Theaters mit "Und dann kam Mirna" von Sibylle Berg zu erwarten, Averkamp dagegen kehrt textgetreu zur Rolle der unterkühlten Zicke zurück. Das muss nun einmal so sein, damit Teenager Fred der Stoff für seine pulverdampfenden, schön burlesk ausgespielten Pulp-Phantasien nicht ausgeht.

 


Der Mann aus Oklahoma
von Lukas Linder
Regie: Robin Telfer, Bühne und Kostüme: Katharina Andes, Musik: Nina Wurman, Dramaturgie: Jürgen Popig.
Mit: Fabian Oehl, Sheila Eckhardt, Nicole Averkamp, Steffen Gangloff, Florian Mania.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterheidelberg.de


Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren