Patient Stadt

von Simone Kaempf

Heidelberg, 7. Mai 2016. Krankenschwestern? Im Außendienst? Das klingt medizinisch und nach rundum optimaler Hausversorgung, handelt es sich bei den vier Krankenschwestern ausdrücklich auch noch um schwedische Krankenschwestern. Die jedenfalls verspricht der Titel des ersten Belgien-Gastspiels beim Stückemarkt. Und tatsächlich: In weißen Schwesternkitteln und -hauben, weißen Gummiclogs, Mützen und hochgezogenen Thrombosestrümpfen betreten die sechs Performer und Performerinnen die Bühne.

Betreten heißt genauer: Sie fahren in einem weißen Caddy in einer schönen Kurve auf die Bühne, parken und entladen ihr medizinisches Gerät, Computerbildschirme, weiße Kästen, einen Diaprojektor. Equipment für die Untersuchung, die angekündigt ist. Nur, dass der Patient etwas aus der Art geschlagen ist und dem Lieblings-Kranken des aktionistischen site-specific Theaters verdammt ähnelt: die Stadt selbst, das urbane Leben, dem man in dieser "städtischen Untersuchung" den Puls fühlen möchte.

Zurück aus der Zukunft

Für "Vier schwedische Krankenschwestern im Außendienst" haben zwei der Performer der belgischen Ubik-Group aus Lüttich bereits vor Monaten in Heidelberg recherchiert, viel fotografiert, Datenmaterial gesammelt, das in Schnipseln in den Abend eingebaut ist. Nach Lüttich und Nancy ist Heidelberg der dritte Spiel- und Untersuchungsort, aber so richtig Heidelberg-spezifischen Gewinn scheint die Recherche nicht gebracht zu haben. Überhaupt weiß man am Ende kaum, woran man als Zuschauer sein Herz hängen soll, außer an die liebenswürdig verschrobenen sechs Darsteller, die ein wenig Wissenschaftlern ähneln, die zurück aus der Zukunft in diesem Bühnenambiente landen.

4Krankenschwestern1 700 Laurence Baeke Darum lieb' ich, alles was so weiß ist, weil mein Schatz eine schwedische Krankenschwester ist … © Laurence Baeke

Die einstündige Vorstellung gliedert sich in drei Teile. Anfangs simulieren die Performer die Rückkehr von ihrer Stadt-Erkundung. Dann zeigen sie Fotos eines Wohnviertels im Süden Heidelbergs mit leeren Straßen, austauschbaren 50er Jahre-Bauten, tristen Betonfassaden, wie man sie in so vielen mitteleuropäischen Großstädten findet. Aha, denkt man immerhin, solch ein graues Heidelberger Straßenbild gibt es also auch, während sich in diesen ersten Frühsommertagen die Menschenmassen bunt durch die Hauptstraße schieben und die übervollen Cafés aus allen Nähten platzen.

Ökologisch und verspielt

Im letzten Teil des Abends bauen die Performer eine kleine Camping-Landschaft auf, stricken am Klapptisch, trinken Kaffee. Im Hintergrund wechselt eine laubschattige Waldlichtung video-projiziert in eine nordische Schneelandschaft à la Caspar David Friedrich. Supersympathisch ist das, keine Frage. Und die Darsteller verhalten sich in ihrer Installation so freundlich, ökologisch, passiv-energetisch, dass sie sich beim Camping sogar die Schuhe ausziehen.

Verspielt, spielzeughaft bunt und provokant entspannt – was performatives Theater ausmacht, findet sich alles wieder in diesem Abend, die mögliche Kraft der Mittel ist erahnbar. Aber man mag das Projekt einfach nicht als state of the art akzeptieren. Für die Selbstfeier alternativer theatraler Kunstwelten versacken die sechzig Minuten viel zu sehr in inhaltlicher Belanglosigkeit, klafft eine große Lücke zwischen Idee und Umsetzung. Die Gruppe kommt in guten Absichten. Doch die Stadt zu heilen, wie der Programmheft-Text ankündigt, bleibt eine gutklingende Floskel, leider völlig wirkungslos.

 

Vier schwedische Krankenschwestern im Außendienst (Quatre infirmières suédoises en déplacement)
von Marie Henry / UBIK Group
Gastspiel Théâtre de Liège und Shanti Shanti asbl mit La Manufacture / Centre Dramatique National de Nancy-Lorraine
Inszenierung, Bühne und Spiel UBIK Group: Cyril Aribaud, Sylvain Daï, Vanja Maria Godée, Beata Szparagowska, Anja Tillberg, Emilia Tillberg.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.ubikgroup.com

 

 

 

Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren