Ende gut

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 8. Mai 2015. Zum Festivalfinale wird es existenziell: "Sind Sie bereit, um das Ende der Menschheit auf die Bühne zu bringen, das Theater einer nach dem anderen zu verlassen, bis nur noch ein Mensch übrig ist?" Auch auf die Gefahr hin, das Ende der Performance nicht zu sehen? Es ist die letzte Frage, die das Brüsseler Kollektiv Transquinquennal an diese Abend stellt.

Man guckt sich an, lacht, bleibt sitzen. Die Performer*innen verlassen den Raum, krachend fallen die schweren Saaltüren ins Schloss, ansonsten Stille. Auf der Bühne beginnt die Tänzerin Sung-Im Her zu tanzen, erst in Zeitlupe, dann schneller, zunehmend in sich gekehrt. Musik gibt es nicht mehr, nur noch sie und ihre Kunst, ihre Körperbeherrschung, die uns nicht braucht. Und dann fängt es an. Nachdem ein Versuch von Applaus nichts bewirkt, stehen die Ersten auf, gehen langsam in Richtung der Türen. Dann mehr und immer mehr, Sung-Im Her tanzt noch immer und plötzlich ist da diese Lust, mitzugehen, den Letzten Letzter sein zu lassen und gemeinsam die Sache mit der Menschheit auf Erden zu Ende zu bringen.

Experiment in Massenpsychologie

Eine gewisse Neigung zu Endzeitszenarien, zu schrägen aber seltsam beruhigenden Fernsehformaten wie etwa "Die Welt nach den Menschen" vorausgesetzt, entwickelt dieser Schluss einen eigenwilligen Zauber, als nähme er einem für einen Moment die existenzielle Last des Weiterlebens von den Schultern, die man bis eben doch noch gar nicht gespürt hatte. Transquinquennal provoziert aber auch gekonnt die Freude daran, Teil von etwas Größerem, Schönerem zu sein, bis hin zur Bereitschaft, dafür etwas zu opfern. Dieser schöne Moment ist zugleich auch ein fieses kleines Experiment in Massenpsychologie. Man muss nicht den Faschismus bemühen, um zu merken, dass das bereitwillige Aufgehen in der Menge ein zweischneidiges Vergnügen ist.

02 41XX 700 Herman SorgeloosEine von 41 vorüberhuschenden Miniaturen © Hermann Sorgeloos

Irritierende Interpretationsoffenheit ist das Prinzip dieses Abends mit dem selbstironischen Revuecharakter, der in 41 Szenen das Thema Schönheit umkreist. Bilder, Fragen, Szenen, Thesen werden in den Raum gestellt, dumme, lustige, kluge, schöne, ohne den Kraftakt eines alles erklärenden Bogens. Mal ist es eine Gruppe Performer*innen, die sich gar nicht mehr einkriegt vor Begeisterung über einen Regenbogen und minutenlang im Chor "Oh my god, oh, wow" jubelt und stöhnt. Dann ist da die Geschichte eines Inhaftierten des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora, der einem Freund en détail Kunstwerke schildert, die er liebt und bewundert, um beiden einen virtuellen Ort zu geben und die Kraft, die Qualen zu überstehen.

Wie Geschmack geformt wird

Dazwischen reihen sich absurde Szenen, oft nur einen Augenblick lang: Plastikschwäne, die zwischen den durchsichtigen Scheiben in Blau und Orange herum getragen werden, die die Bühne von Marie Szersnovicz immer wieder neu strukturieren; Surfer, die die perfekte Welle und Gilles Deleuze diskutieren, die Venus von Botticelli, die plötzlich statt in ihrem Bild zu stehen mit verdrehtem nackten Körper davor auf der Bühne liegt. Nicht alle Szenen gehen auf, und manche gehen auf die Nerven. Insgesamt aber gelingt der belgischen Compagnie ein Abend der starken Eindrücke, der einen freundlich indifferent dazu bringt, darüber nachzudenken, wie Geschmack geformt und Ästhetik instrumentalisiert wird. Und wo wir selbst bei alledem stehen. Und wo das Theater.

Einundvierzig (Quarante-et-un)
von Transquinquennal
Text und Regie: Bernard Breuse, Miguel Decleire, Stéphane Olivier, Choreografie: Gregory Grosjean, Bühne und Kostüme: Marie Szersnovicz, Ton: Brice Cannavo, Licht Jean-Jacques Deneumoustier.
Mit: Allan Bertin, Nathalie Cornet, Bernard Eylenbosch, Lucie Guien, Marie Henry, Sung-Im Her, Elisa Lozano Raya, Emilie Meinguet, Jean-Baptiste Polge, Judith Williquet, Mélanie Zucconi, Odilon Olivier.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.transquinquennal.be

 

 

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