"Naiv? Damit kann ich leben"

von Wolfgang Behrens

9. Mai 2015. Es geschieht nicht oft beim Autorenwettbewerb des Heidelberger Stückemarkts, dass Autor*innen die Lesung ihres Stückes schelten. Vor einer Woche indes ist genau das passiert. Die Autorin des Wettbewerbbeitrags "Entwurf für ein Totaltheater" Anne Lepper saß neben ihrem Lektor auf dem Podium, ließ diesen reden, antwortete auf die an sie gerichteten Fragen mit "Nein" oder "Ich weiß nicht", und man hoffte nur, dass diese Verhör-Zeremonie bald ein Ende finden würde. Dann sagte Anne Lepper aber doch noch etwas. Sie entschuldigte sich dafür, dass sie hier so stumpf herumsitze, und im Übrigen hätte sie sich etwas von dieser Stumpfheit auch bei der Lesung ihres Stückes gewünscht. Und mit Blick zu den Schauspieler*innen: "Sorry!"

Man wüsste manchmal ganz gerne, ob eigentlich Lesung und Autor*innen-Gespräch im Rahmen der Vorstellung der Stücke einen Einfluss auf die Jury haben. Die Juror*innen würden es vielleicht verneinen, aber eine Lesung kann schließlich so etwas wie ein erster Ausweis szenischen Potentials sein, und was ein*e Autor*in zu ihrem/seinem Stück sagt, hakt sich ja auch irgendwie ein – und sei's unterbewusst. Umso bedauerlicher, wenn – wie es beim "Entwurf für ein Totaltheater" der Fall war – die Schauspieler*innen komplett am Tonfall eines Textes vorbeilesen, wenn Lakonie und hintergründiger Witz durch unangebrachte Quirligkeit und Überdrehtheit ersetzt werden. Nach der Lesung jedenfalls konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, dass Anne Lepper, die man vorher durchaus auf dem Zettel hatte, aus dem Rennen ist – zumal der Text ausgerechnet von einem der Juroren, vom leitenden Heidelberger Dramaturgen Jürgen Popig, eingerichtet wurde – eine nicht ganz unheikle Praxis, die vielleicht zu überdenken wäre.

Die große Utopie

Milisavljevic 250 Norbert KaiserMaria Milisavljevic © Norbert KaiserGanz anders als Anne Lepper trat Maria Milisavljevic im Gespräch nach der Lesung ihres Stückes "Beben" auf – sie präsentierte sich als unglaublich gewinnende, beredte und auch in ihren Statements jederzeit originelle Anwältin ihres Textes. Der auch seine problematischen Seiten hat: Mit Klischees von empathieunfähigen Bewohnern zunehmend virtueller Welten wird da nicht gegeizt, in hartem Kontrast dazu stehen Menschen mit realen Kriegs-, Gewalt- und Verlusterfahrungen, die Versöhnung und Verstehen suchen. Eine mythische Gestalt, der "Mann an der Kante von Ulro", sendet derweil von seinem Außenposten immer wieder neue Kräfte des Egoismus in die Welt, um jegliche Lösungen des Miteinanders zu verhindern. Am Ende aber mündet alles, dem Mann an der Kante von Ulro zum Trotz, in eine große Utopie.

Das liest sich streckenweise recht pathetisch, manchmal sogar naiv, doch auf dem Podium versteht es Maria Milisavljevic, einen regelrecht zu entwaffnen: "Mit dem Vorwurf, pathetisch oder naiv zu sein, kann ich gut leben." Sie pocht darauf, die Macht über ihre eigene Geschichte zu haben und sie deswegen – sozusagen gegen jede Erfahrung – zu einem guten Ende führen zu dürfen. Und, ja, man merkt während des Autorinnengesprächs, dass man die harte Attitüde, mit der man eben noch Abgeschmacktheiten des Textes zu geißeln gewillt war, langsam ablegt und sich einnehmen lässt von dem Gedanken, dass all das ja einkalkuliert war.

Entscheidung für die Vielfalt?

Die Jury hat sich dann tatsächlich für "Beben" entschieden – inwieweit das Auftreten der Autorin da eine Rolle gespielt hat, werden wir wohl nicht erfahren. In der Laudatio heißt es: "Mit Vehemenz und Pathos plädiert Maria Milisavljevic dafür, das Prinzip Liebe als Mittel gesellschaftspolitischen Handelns wieder zu entdecken und zeigt damit den Mut zur Utopie als Widerspruch zum Fatalismus der Vernünftigen." Dem kann man kaum widersprechen – und da Milisavljevics Stück keine Rollenzuweisungen kennt, sondern nur Absätze verschiedener erst noch zu ermittelnder Sprecherpositionen aneinanderreiht, hat die Jury auch den formal schwierigsten Text aus der Auswahl herausgefischt.

Dass damit neben Anne Leppers schrägem "Entwurf" ein so berührender, auch literarisch recht belastbar wirkender Text wie Stefan Hornbachs "Über meine Leiche" ebenfalls auf der Strecke bleiben musste, ist zu verschmerzen: Hornbachs Stück hat bereits den Osnabrücker Dramatikerpreis gewonnen – und wird in Osnabrück auch seine Uraufführung erleben – und ist zudem zu den Berliner Autorentheatertagen ausgewählt worden, was zudem eine Aufführung des Wiener Burgtheaters nach sich zieht. Auch wenn die Jury solche Erwägungen sicherlich weit von sich weisen wird: Im Sinne der Vielfalt mag es durchaus weise sein, auf "Über meine Leiche" nicht noch einen weiteren Preis abzuladen. Und auf die Kraft, die die Utopie von "Beben" auf der Bühne entfalten wird, darf man schließlich auch sehr neugierig sein.


Mehr über die weiteren Preise in einem Resümee von Cornelia Fiedler.

 

 

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