Mehr Wucht

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 9. Mai 2016. "I figured out I won the price?!", spricht ein etwas verwirrter, aber strahlender Thomas Depryck ins Mikro. Das hat er, nur dass er auf der Bühne seine Übersetzerin nicht mehr hört, die sitzt im Publikum. Dass der Internationale AutorenPreis mit 5.000 Euro dotiert ist, wurde ihm mittlerweile übersetzt, keine Sorge, ebenso die Begründung der Jury: Die Juror*innen zeigten sich beeindruckt davon, "mit welcher Leichtigkeit" das Stück "Der Reservist" "die Utopie seiner Hauptfigur zerstört und ihn in ein völlig sinnloses Ende" schickt. Sein "Reservist" scheitert nämlich spektakulär daran, die Rolle auszufüllen, die ihm als Arbeitslosem in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft zugedacht ist. Das Ende dieser komisch bitteren Heldenreise könnte gemeiner nicht sein, denn da steht kein Clash, kein Ausbruch, sondern einfach: ein sinnentleerter Job.

Deprycks Text setzt sich durch seine Dringlichkeit klar von den anderen Wettbewerbsbeiträgen ab. Er ist zudem, auch wenn sich das anhand von Lesungen nur mittelmäßig beurteilen lässt, am besten auf einer Bühne vorstellbar. "Verschwommen" von Abke Haring hat es da deutlich schwerer. Die Wirkung ihrer radikalen Sprach-Reduktion, der Konzentration auf zermürbende Stille inmitten schräger dysfunktionaler Paargespräche bleibt, ohne die Uraufführung in der Regie der Autorin zu kennen, schwer greifbar. Den dokumentarisch-fiktionalen Arbeiten "Pikadon (Hiroshima)" von Alex Lorette und "Leni und Susan" von Stijn Devillé, die klug komponiert und gut lesbar sind, fehlt im direkten Vergleich wohl etwas die Wucht.

PublikumsPreis

In der Gunst des Publikum, das sowohl über die deutschen als auch die belgischen Autor*innen abstimmen konnte, setzt sich dagegen Stijn Devillés fiktionales Zusammentreffen zwischen Leni Riefenstahl und Susan Sontag durch. Der flämische Autor und Regisseur erhält den vom Freundeskreis des Theaters Heidelberg gestifteten Publikumspreis von 2.500 Euro für sein Stück "Leni und Susan". Es zeichnet sich vor allem durch den Mut aus, beiden Frauenfiguren mittels einer sehr genauen, zugewandten Figurenzeichnung gerecht werden zu wollen, auch wenn letztlich die historischen Fakten für sich sprechen.

"Furcht und Ekel": NachSpielPreis

Eine Besonderheit des Heidelberger Stückemarktes ist der NachSpielPreis, ein klares Statement angesichts einer gigantischen Uraufführungs-Maschinerie, in der neue Stücke leider oft genauso schnell vergessen werden, wie man sie eben noch abgefeiert hat. Das Gewinnerstück des undotierten NachSpielPreises wird bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin gezeigt. Im Nachspiel-Programm, kuratiert von der Theaterkritikerin Barbara Behrendt, traten also drei Nicht-Uraufführungen aktueller Stücke an. "Lupus in Fabula" von Henriette Dushe zeigt drei Schwestern bei dem völlig überfordernden Versuch, von ihrem sterbenden Vater Abschied zu nehmen. Die durchkomponierte Inszenierung von Claudia Bossard besticht durch ihre Stringenz, durch eindringliche aber nie kitschige Bildsprache und ist, zumindest auf der Regieebene, die stärkste Arbeit.

"Auch Deutsche unter den Opfern" von Tuğsal Moğul und "Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute" von Dirk Laucke setzen sich dagegen sehr konkret und politisch mit deutschen Zuständen auseinander und ergänzen sich perfekt. "Auch Deutsche unter den Opfern", inszeniert von Sapir Heller, ist eine aufwändige, vielseitige Recherchearbeit zum NSU: Theater gewordener Zorn, kombiniert mit erschlagenden Fakten unter anderem über die skandalösen Verstrickungen zwischen Neonaziszene und Verfassungsschutz. "Furcht und Ekel" nimmt dagegen die alltägliche, nicht weniger gefährliche Variante von Rassismus und Fremdenhass in Deutschland unter die Lupe. Pinar Karabulut hat es am Schauspiel Köln als grelle Groteske in einer albtraumhaften Kleingartenszenerie inszeniert – und gewinnt damit den NachSpielPreis. Es sei eine Inszenierung, die "mit Witz und Liebe durch die Abgründe deutscher Seelen führt", begründet die Kritikerin und Jurorin Mounia Meiborg die Entscheidung. Auch wenn der Abend in seiner Wucht manchmal wenig Raum zum Denken und Begreifen lässt, ist "Furcht und Ekel" in jedem Fall ein wichtiges und politisch scharfes Stück, das so oft wie möglich (nach-)gespielt werden sollte.

"Es bringen": JugendStückePreis

Der JugendStückePreis, dotiert mit 6.000 Euro, wird vergeben von einer Jury aus Jugendlichen ab 14 Jahren und geht in diesem Jahr an die grundsolide Uraufführung "Es bringen" nach dem Roman von Verena Güntner (Bühnenfassung Judith Weißenborn und Karsten Dahlem). Dahlem beweist in seiner klaren, rasanten, aufgekratzten Inszenierung, einem Gastspiel des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf, ein gutes Gespür für diese seltsam radikale Arbeit am eigenen Gewinner-Ich, die sich Güntners jugendlicher Protagonist auferlegt hat. "Es bringen" ist eine reine Jungsgeschichte, verfügt aber sichtlich über hohes Identifikationspotenzial.

Weniger gut gelang der Brückenschlag zum Zielpublikum offenbar der perfomativen Stückentwicklung "Zwischeneinander" vom Jungen Deutschen Theater Berlin. One-Way-Theater und soziale Medien, die nun einmal von der Interaktion leben, finden hier nicht wirklich zusammen. Das dritte Stück im Wettbewerb, "Deals" ist ein Frühwerk des immer noch jungen Autors Jan Friedrich. Die durchaus komisch erzählte Geschichte über eine kaputte Familie, die sich gezwungenermaßen zusammenrauft, gerät in der Inszenierung von Hanna Müller oft ins Karikaturenhafte und geht selten wirklich nahe. So verschieden die Ansätze sind, in einem Punkt gleichen sich die eingeladenen Jugendstücke. Alle sind, auch wenn an der Entwicklung von "Zwischeneinander" eine Berliner Schulklasse beteiligt war, Aufführungen von Erwachsenen für Jugendliche. Hier würde es sich lohnen, den Blick etwas zu weiten und nach Projekten Ausschau zu halten, in denen Kinder und Jugendliche auch auf der Bühne auf Augenhöhe mitwirken. 

 

Mehr zum Autorenpreis an Maria Milisavljevic in einem Resümee von Wolfgang Behrens.
 

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