It's a boy's world?

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 6. Mai 2016. Der Selbstoptimierungswahn macht vor Jugendlichen nicht halt, das haben bereits die Hochleistungs-Mädchen in Pink aus "Und dann kam Mirna" demonstriert. "Es bringen" zeigt eine neue Spielart: Auch Luis, sechzehn, arbeitet mit eisernem Willen an sich, nur mit anderem Fokus. Er will und muss immer derjenige sein, der am meisten trinkt, am längsten pinkelt und den meisten Sex hat.

Zu diesem Zweck hat er sich einen inneren Trainer erschaffen. Der glaubt an ihn, feuert ihn an, ist streng zu ihm – all das was der (mal wieder, wie in "Mirna" oder auch dem "Mann aus Oklahoma") abwesende Vater und die junge egozentrische Mutter nicht bringen. Seine Höhenangst hat ihm dieser Trainer durch eisernes Ausharren auf dem Balkon im 15. Stock der tristen Hochhaussiedlung abtrainiert. Und er geht mit einem grellen Trillerpfeifen-Pfiff dazwischen, sobald die harte Jungmacho-Fassade zu bröckeln droht.

Besäufnisse und Fickwetten

Karsten Dahlems Bühnenfassung des Romans von Verena Güntner, ein Gastspiel vom Jungen Schauspielhaus Düsseldorf, reduziert die Handlung auf eine zackige Abfolge von Schlüsselszenen: Streng durchgeplante Besäufnisse, markiert durch drei exakte Reihen von Bierdosen auf der Bühne, die die Jungs quer durch den geöffneten Mund direkt in drei Eimer laufen lassen; die "Fickwetten", für die sie "den Kurzen" Geld abnehmen; das Familienleben, das darin besteht, dass Luis' Mutter (Julia Dillmann) immer gerade geht, wenn Luis heimkommt. Wenn sie ihm statt des ersehnten Interesses mal wieder nur ein paar Euro fürs Abendessen schenkt, kämpfen auf Dominik Paul Webers Gesicht deutlich sichtbar abgeklärte Coolness und weiche kindliche Sehnsucht nach Geborgenheit miteinander – ratet mal, wer gewinnt.

esbringen1 700 Sebastian HoppeCool sein ist Pflicht: Harald Peters, Julia Dillmann, Bernhard Schmidt-Hackenberg und Dominik Paul Weber in "Es bringen"
© Sebastian Hoppe

Das strenge System der Selbst- und Gruppenkontrolle gerät aus den Fugen, als plötzlich die falschen Leute miteinander ficken (das vielleicht meistverwendete Wort der Inszenierung): Ausgerechnet der erklärte Loser Marco, ein verstrubbelter, immer leicht geduckter Bernhard Schmidt-Hackenberg, kriegt Luis' neuste Eroberung rum, und der düster wortkarge 20-jährige Cliquen-Chef Milan (Philip Schlomm im bodenlangen schwarzen Mantel) landet bei Luis' vergötterter Mutter.

Der männliche Blick

Dahlem kontrastiert die harte Sprache und die schnelle, aufgekratzte Spielweise, Martial-Arts-Film-Szenen inklusive, mit berührenden Momenten der plötzlichen Leere, in denen Milan weder die Trillerpfeife noch das selbst erschaffene Regelwerk helfen. Ärgerlich ist der durchweg männliche und machistische Blick auf Frauen und Mädchen, der nur für ganz kurze Momente in Frage gestellt wird. Dass Frauenverachtung von allen Beteiligten als naturgemäßer Schritt auf dem Weg zum männlichen Erwachsenwerden angesehen wird, verleidet die Empathie mit Luis dann doch etwas.

 

 

Es bringen
nach einem Roman von Verena Güntner
Uraufführung
Bühnenfassung und Regie: Karsten Dahlem, Bühne: Justyna Jaszcuk, Kostüme: Silvie Naunheim, Musik: Hajo Wiesemann, Dramaturgie: Judith Weißenborn.
Mit: Julia Dillmann, Harald Peters, Philip Schlomm, Bernhard Schmidt-Hackenberg, Dominik Paul Weber.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

 

 Zum Essay über die Jugendstücke

 

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