Glück ist handelbar

von Wolfgang Behrens

Heidelberg, 2. Mai 2016. Wie oft sind sie uns schon erzählt worden, diese Geschichten von der Bilderbuchfamilie, hinter deren Fassade man besser nicht oder gerade doch begierig schaut, weil dort alles auseinanderbröckelt. "Buddenbrooks" oder "Das Fest". Ja, kennt man. In "Deals" wird auch von solch einer Familie erzählt, allerdings ein bisschen anders. Denn hier sitzt eben keine "Scheiß-Familie Mustermann" mit schöner Fassade beieinander. Die Fassade ist nämlich schon lange weg, falls je eine da war.

Disneyland und andere Sehnsuchtsziele

Stattdessen ist diese Familie einfach kaputt, kaputt, kaputt: Der 12-jährige Benni (gespielt vom 14-jährigen Gabriel Schlager) hat sich in suizidaler Absicht mal eben seinen Chemiekasten reingezogen, das heißt, er hat ihn buchstäblich runtergeschluckt. Der Vater Simon (Mathias Max Herrmann) ist eh schon nicht mehr da, weil er lieber Studenten fickt, aber nur "die besten Ärsche der Uni", Mutter Ellen (Susanna Fernandes Genebra) kreist ein bisschen um sich und vor allem um ihren Drogenkonsum, und die 15-jährige Tochter Isabella (Rachel Behringer) hat ausgerechnet den leicht dumpfbackig wirkenden, wohlstandsverwahrlosten Dealer Gregor (Jakob Benkhofer) als Freund.

deals1 700 Katrin RibbeWünsche, Träume, auch mal was zum Rauchen: Die Mutter (links Susana Fernandes Genebra) und ihr Stofflieferant in "Deals" 
© Katrin Ribbe

"Deals" stammt aus der Feder von Jan Friedrich, der im letzten Jahr auch zum deutschsprachigen Autorenwettbewerb des Heidelberger Stückemarkts eingeladen war, und es ist ein Jugendstück im doppelten Sinne: Nicht nur das primäre Zielpublikum ist ein jugendliches, Friedrich hat es auch mit gerade einmal 17 Jahren geschrieben – eine wirklich außerordentliche Talentprobe.

Ein paar Jahre nach seiner Entstehung haben sich Hanna Müller und das Junge Schauspiel Hannover der Uraufführung des rasant geschnittenen Dialogstücks angenommen. Und dem Team um Müller gelingt das Kunststück, diese kaputten Figuren nicht lächerlich zu machen, sie nicht ins Monströse zu verzerren oder zu Idioten zu verkleinern: Mit einer fast beiläufigen, leichten und schnellen Spielweise entstehen hier vielmehr – ja: liebenswerte Menschen mit kleiner großer Not.

Zusammenhalt in der Kaputtheit

Die Wand zum Publikum ist dabei mehr als durchlässig: Zum realen Telefonat benutzt Isabella das Smartphone einer Schülerin, und für eine Liebesszene werden Publikumsschöße mal eben zum Sofa umfunktioniert – für etwaiges Peinlich-berührt-Sein bleibt da keine Zeit. Auf der Bühne von Anna Sörensen – einer Art Ready-made-Insel, die mit großem Disneyland-Schriftzug und "Open everyday"-Tankstellen-Schild einen Unort irgendwo zwischen Sehnsuchtsidylle und Trostlosigkeit definiert – versuchen die einzelnen Familienmitglieder ihre jeweilige Rolle im Wortgefecht mit den anderen immer neu auszuhandeln. Und es wird gedealt, was das Zeug hält: mit Selbst- und mit Fremdbildern.

Und verrückterweise ist es am Ende der wirkliche Dealer Gregor – der, auf den alle ihre Wünsche projizieren und der das weidlich ausnutzt, indem er für Sex, Liebe und Drogen Geld nimmt – er also ist es, der in den Kämpfen der Familie etwas Verbindendes sieht: einen in aller Kaputtheit erhaltenen Rest von Liebe. Das klingt jetzt vielleicht kitschig und nach Family Values oder ähnlich abgestandenem Kram: Doch bei Jan Friedrich und Hanna Müller wird diese Botschaft so unsentimental rübergebracht, dass man ihr nur zu gerne glauben mag.

 

Deals
von Jan Friedrich
Uraufführung
Regie: Hanna Müller, Bühne Anna Sörensen, Kostüme: Lucie Travnickova, Video: Jonas Alsleben, Dramaturgie: Sarah Lorenz.
Mit: Rachel Behringer, Jakob Benkhofer, Susana Fernandes Genebra, Mathias Max Herrmann, Gabriel Schlager.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.schauspielhannover.de

 

Zum Essay über die Jugendstücke

 

Jekob Benkhofer, Susana Fernandes Genebra

Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren