Like me hart

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 3. Mai 2016. Ist das noch Verliebtheit oder schon Stalking? Wer heute jemanden kennenlernt, checkt erst mal das Facebook-Profil, klar. Wenn aber zu viele Bilder kommentiert, wenn sämtliche Tweets ausgedruckt werden, dann wird es gruselig. Roland Bonjour spielt jemand derart Übergriffigen uneindeutig eindeutig. Er fixiert hier, im Musiksaal der Heidelberger Theodor-Heuss-Realschule, jeweils ganz direkt einen Schüler, eine Schülerin, die er "echt hart liked".

Grenzen des Netzes

Normalerweise ist dieser Moment noch intimer, denn die Inszenierung "Zwischeneinander" vom Jungen Deutschen Theater Berlin spielt sonst im Klassenzimmer. Für das zusätzliche Publikum, das ein Gastspiel beim Stückmarkt mit sich bringt, musste es dieser größere Raum sein, mit seiner alten grünen Tafel und den Tischreihen, in die sich die anwesende Klasse ganz selbstverständlich nach Jungs und Mädchen getrennt gesetzt hat.

Aha, ihr wollt Jugendlichen was über Datenschutz und Privatsphäre erzählen, denkt man kurz, doch Regisseur Martin Grünheit und sein Team schlagen immer dann, wenn man glaubt, den pädagogischen Impetus gefunden zu haben, den nächsten Haken: Zur Hate-Kultur im Netz zum Beispiel. Katharina Schenk bekommt dazu den Youtube-Star Liont per iPod auf die Ohren und spricht dessen Statement an alle Hater nach, versucht zu erklären, dass es auch im Netz Grenzen gibt, dass es einfach nicht cool ist, Leute zum Suizid aufzufordern.

Einblick in 24-Stunden-Chat

Die ganze lange Wutrede über zieht und zerrt Schenk unbehaglich an ihren Klamotten herum, schlüpft aus den Ärmeln und wieder hinein. In diesem übergroßen braunen Pullover steckten bis eben noch beide Darsteller*innen gemeinsam, ganz am Anfang, als Nähe noch möglich war. Denn darum kreist das Stück eigentlich, das mit einer neunten Klasse des Berliner Käthe-Kollwitz-Gymnasiums entwickelt wurde, um das Drängen zueinander, das Wegwollen voneinander, um Freundschaft und Liebe in Zeiten vom Whatsapp.

zwischeneinander3 700 Arno DeclairUnd offline? Aufs Lehrerpult! Roland Bonjour, Katharina Schenk in "Zwischeneinander" © Arno Declair

Die Berliner Projektklasse lud die Theatermacher*innen in ihren Klassen-Chat ein, um über die Sommerferien in Kontakt zu bleiben. Dieser wochenlange unbekümmerte 24/7-Realtime-Informationsfluss gab ihnen nicht nur ungeahnte Einblicke, er wird auch zum Textmaterial. Bonjour und Schenk sprechen Auszüge daraus im Chor wie Erwachsene beim Erlernen einer Fremdsprache – und ein bisschen wie ein Jugendprojekt, dem unterwegs die Jugendlichen abhanden gekommen sind.

Körperliche Bilder

Die Frage wie zwei Menschen aus dem omnipräsenten digitalen Gruppenreden heraus finden und sich offline liken sollen, wird in sehr körperliche Bilder übersetzt. Beide versuchen als Körperknäuel auf den Lehrer*innenpult eine Wohlfühlstellung zu finden oder rufen sich ihre Versionen eines Pärchenmärchens gegenseitig in den weit geöffneten Mund. Das sorgt für viel Gekicher und einigen Gesprächsstoff. Dass die Schauspieler*innen "Teil einer Klassengemeinschaft werden", bleibt dennoch eine gewagte Programmheftthese.

Zwischeneinander
Regie: Martin Grünheit, Ausstattung: Kristel Bergmann, Choreografische Begleitung: Daniela Kaufmann, Dramaturgie: Lasse Scheiba.
Mit: Roland Bonjour, Katharina Schenk
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
www,deutschestheater.de
www.jungesdt.de

 

Zum Essay über die Jugendstücke

 

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