Schon mal das schwarze Kleid kaufen?

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 1. Mai 2016. Wir wissen es, reden abgebrüht darüber, haben es in hunderten Filmen miterlebt - wirklich kapieren werden wir es dennoch nicht, das mit dem Sterben. Dass die Liebe, die da noch ist und die Wut und die Nähe plötzlich ins Leere gehen sollen, einfach verpuffen, weil dieser Mensch endgültig nicht mehr ist. Sich darauf vorbereiten, ist das denn überhaupt erlaubt? Schon mal ein schwarzes Kleid kaufen? Im Kopf eine Grabrede schreiben? Wie geht man schlafen, wenn jemand gestorben ist, und wie, verdammt noch, mal steht man am nächsten Morgen wieder auf?

Drei Schwestern am Sterbebett

Ein altmodisches Telefonklingeln beendet in Claudia Bossards zurückhaltend eindringlicher Inszenierung von Henriette Dushes "Lupus in Fabula" die Zeit des fröhlichen Verdrängens. Die Jüngste und die Mittlere, so heißen sie im Text, werden ins Haus des Vaters gerufen, wo die Älteste den Sterbenden pflegt.

Der Text, der 2013 mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet wurde, lässt gleich einer Partitur drei Stimmen und mehrere Ebenen parallel, über Kreuz, auseinander und zusammen laufen. Die Jüngste, Vera Bommer, wirft der drohende neuerliche Verlust zurück in die dunklen Gefühlswolken des vorigen, einer schmerzvollen Trennung.

lupusinfabula3 700 Lupi SpumaInmitten familiärem Hausrat, Raum für den Text in Claudia Bossards Inszenierung "Lupus in fabula" © Lupi Spuma

Die Älteste, Evamaria Salcher, bringt die Schwestern mit ihrem Redebedarf über Windeln, schrumpelige Gliedmaßen und Medikation auf die Palme. Sie kann nicht umhin, sich in ihr Leben zurück und damit den Tod des Vaters herbei zu sehnen. Die Mittlere, Veronika Glatzner, gerade Mutter geworden, wühlt in alten Kassetten oder Erinnerungen und sucht freundlich manisch nach einer Form, "irgendeiner annehmbaren Form" für all das hier.

Eigene Bildsprache

Sie malt mit Worten Szenarien aus, eine Lichtung, nein lieber Bäume im Nebel, nein Regen. Immer tauchen darin drei Figuren auf, mal Bären, dann weiß gekleidete Frauen, dann Tick, Trick und Track – Phantasien die leicht ins Schlingern geraten und immer wieder unterbrochen werden. Ohne dass es aufgesetzt wirkt oder überartifiziell, spielen Text und Inszenierung durch, was Theater, was Kunst eben tut. Nach Bildern, Begriffen, Strukturen suchen, die über Umwege helfen sollen, zu begreifen oder endlich zu fühlen.

Bossard und ihre Dramaturgin Jennifer Weiss illustrieren diese Formsuche nicht, lassen die Worte wirken und entwickeln zusammen mit den durchweg starken Darstellerinnen eine eigene Bildsprache: Wenn die Frauen sich wörtlich einen Rahmen suchen, wenn Köpfe müde an die Wand sinken oder die drei in einem Ausbruch guter Laune mit der Vitrine voller Medikamente tanzen.

Nicht-Verstehen-Können

Auf der Bühne von Katharina Trajceski sind nur drei Telefone und drei blaugraue Schränke zu sehen, kein Bett und kein Vater. Der ist präsent in den besorgten und genervten Blicken, in den Versuchen, ein letztes Mal Aufmerksamkeit oder Anerkennung zu erheischen, oder irgendein letztes Geheimnis zu lösen. Die für den NachSpielPreis nominierte Inszenierung des Schauspiels Graz nimmt den leisen Humor, wie auch die Schwere des Textes gekonnt auf und öffnet, ohne sentimental zu werden, Räume fürs Denken, Fühlen und: fürs Noch-immer-nicht-Verstehen-Wollen.

Lupus in Fabula
von Henriette Dushe
Regie: Claudia Bossard, Bühne: Katharina Trajceski, Kostüme: Susanne Leitner, Dramaturgie Jennifer Weiss Mit: Vera Bommer, Veronika Glatzner, Evamaria Salcher.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus-graz.com

 

Zum Gespräch mit der Regisseurin Claudia Bossard

 

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