Die Inszenierung als Reibungsfläche für den Text

nachtkritik.de: In Henriette Dushes "Lupus in Fabula", dem Autorenpreis-Gewinner des Heidelberger Stückemarktes 2013, geht es um drei Töchter, die auf den Tod ihres Vaters warten. Wie haben Sie sich dem Stoff genähert?

lupus in fabula1 250 Lupi Spuma u"lupus in fabula" © Lupi SpumaClaudia Bossard: Henriette Dushe hat eine derart kunstvoll verdichtete Sprache, dass es eine Weile dauert um zu begreifen, worüber die Figuren sprechen. Sie reden sich um Kopf und Kragen, und dabei fragt man sich lange, warum sie sagen, was sie sagen. Bis klar wird, dass das eine Strategie ist, um über das Unmögliche zu sprechen, das Sterben an sich. Insofern war klar, dass das was Persönliches und Individuelles ist und man sich konzeptionell nicht grobmaschig nähern darf. Wir haben darüber gesprochen, was Sterben und Tod für uns bedeutet und uns so Stück für Stück dem Thema genähert. Die Schwierigkeit, darüber zu sprechen – das ist ein uraltes Thema. Seit der Mensch weiß, dass er sterben muss, wird er erst kreativ, zum Schöpfer, zum Tanzenden, zum Poeten, da entsteht Humor. Das eine bedingt das andere.

nachtkritik.de: War das Stück Ihre Wahl oder sind Sie dem Vorschlag des Theaters gefolgt?

Claudia Bossard: Ich hatte zwei Stücke zur Auswahl und habe mich sofort für Henriette Dushes Stück entschieden.

nachtkritik.de: Haben Sie die Uraufführung 2015 in Heidelberg gesehen?

Claudia Bossard: Ich hab mir die Aufzeichnung aus Heidelberg zukommen lassen und da mal reingeguckt. Aber wie das so ist mit Aufnahmen vom Theater: Es gab die Kamera aus der Fernperspektive, so dass es eher schwierig war zu eruieren, was und wie inszeniert wurde.

nachtkritik.de: Gab es für Sie ein Bedürfnis, sich davon abzugrenzen?

Claudia Bossard: Nein. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass das Stück drei völlig für sich gelassene Figuren zeigt, sehr formal beginnt. Als ich kurz in die Aufnahme reinschaute, hatte ich den Eindruck, dass das so eine andere Art von Auseinandersetzung mit dem Stoff ist, dass ich mir darum keine Gedanken mehr gemacht habe.

nachtkritik.de: In Dushes Stück beschreiben die Protagonistinnen selbst das Setting. Da verbietet sich doch eigentlich jede Art von Bebilderung. Wie sind Sie damit umgegangen?

Claudia Bossard: Wir haben eigentlich alles ausprobiert, auch um zu sehen, was der Text erträgt. Der ist so minutiös gebaut,  metaphern- und bilderreich! Mit der Zeit haben wir herausgefunden, dass  man immer das Gegenteil von dem machen muss, was der Text gerade macht. Darum wollte ich mit der Inszenierung Reibungsfläche für den Text bieten, ihn weniger bebildern als kontrastieren. Wenn Bilder durch Sprache entstehen, dann braucht man sie nicht noch zusätzlich durch das Spiel kreieren. Mir ging es darum, den Text musikalisch zu begreifen, über die Struktur zu fassen, über den Rhythmus der Sprache.

nachtkritik.de: Was Sie ja mit den vielen musikalischen Spuren auch aufgreifen.

Claudia Bossard: Bei den Audio-Kassetten war aber auch der Gedanke, dass die Schwestern damit ihre gemeinsamen Erinnerungen aufgreifen, ihre gemeinsame Kindheit heraufbeschwören. Weil ich davon ausging, dass das drei vereinzelte Schwestern sind, die nach Jahren wieder zurückkehren und die gemeinsame Sprache als Geschwister verloren ist, war es mir ein Anliegen, einen Konsens für sie herauszuarbeiten. Ich habe selbst drei Geschwister. Die Verbundenheit, die man hat, zeigt sich in ulkigen Situationen, gemeinsamen Ritualen. So haben wir versucht, die gemeinsame Verbundenheit herzustellen, die über die Sprache hinausgeht, weil die drei schon sehr für sich sprechen.

nachtkritik.de: Das Bühnenbild ist sehr reduziert: Es gibt einen alten Küchen-, einen Kleider- und einen Besenschrank, dazu drei altmodische Telefone. Warum?

Claudia Bossard: Uns war klar, dass die Sprache unheimlich sehr viel kann und in sich trägt. Da kann man keine Bühne schaffen, die auch noch bebildert, sondern eine, die sich Hand in Hand mit dem Text weiterentwickelt. Wichtig war auch das Bild der Erinnerungsarbeit: Man räumt gemeinsam das Leben des Vaters auf, auch das eigene Leben.

nachtkritik.de: Oft ist es so, dass jungen Regisseur*innen besonders gern die neue Dramatik zugeteilt wird. Wie ist das bei Ihnen?

Claudia Bossard: Neue Dramatik bedeutet immer einen Anspruch an Gegenwartsbezug, was natürlich interessant ist. Bevor ich aber angefangen habe am Stadttheater zu arbeiten, habe ich während des Literaturwissenschafts-Studiums in Berns freier Szene mehrere Klassiker inszeniert. Dann habe ich letztes Jahr in Bern die deutschsprachige Erstaufführung von Rodrigo Garcias "Picknick auf Golgatha" gemacht, ein unglaublich performativer, böser Text. Als Dushes Stück an mich herangetragen wurde, war klar, dass das wieder was ganz Neues ist, weil es eine so feine Mechanik hat. Das hat mich gereizt.

Das Gespräch führte Georg Kasch.

 

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