Nazikindergeburtstagsalbtraum

von Cornelia Fiedler

Heidelberg, 4. Mai 2016. Vielleicht ist es an der Zeit, die F-Skala wieder herauszukramen. F steht für Faschismus. Adorno hatte diesen Persönlichkeitstest im amerikanischen Exil entwickelt, um zu untersuchen, wie hoch die Disposition für ein autoritäres, rassistisches, antisemitisches Welt- und Menschenbild in der Bevölkerung ist. Nicht bei Hardcore-Nazis, sondern bei ganz normalen Leuten. Dirk Lauckes Geisterbahnfahrt durch deutsche Realitäten, "Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute", inszeniert von Pınar Karabulut am Schauspiel Köln und nominiert für den NachSpielPreis, bringt sie alle in greller, karikaturenhafter Überzeichnung zusammen: die Jasagerin, den Weggucker, den Machtmenschen, die Schönfärberin und die Kameraden von der Selbstjustiz.

Stimmung der politischen Mitte

Da wäre beispielsweise dieser Mann, er sitzt mitten im Publikum, der zufällig sieht, wie ein anderer, dem die Abschiebung droht, sich in der Flughafentoilette versteckt. Als die Polizei hereinstürmt, verrät er ihn wortlos, ein Blick genügt. Wie er so etwas tun konnte, empört sich seine Freundin vom Team Selbstgerechtigkeit auf der Tribüne gegenüber. Da stammelt er etwas von "Verhinderung der Amtsausübung" und "sich ein Verfahren einhandeln".

Bei Adorno fällt das wohl unter "Konventionalismus", bloß nicht aufmucken, nicht das eigene wohlige Mittelstandsglückchen gefährden, "autoritäre Unterwürfigkeit" inklusive. Das allein macht keinen Nazi, natürlich nicht. Es geht um die Stimmung in der politischen Mitte, die sich in Deutschland seit der Uraufführung des Stücks 2014 in Stuttgart verschärft hat.

In Schwarzrotgold

Basierend auf Presse- und Augenzeugenberichten kombiniert Laucke Fälle von Alltagsrassismus mit Szenen offener Gewalt und solchen, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen. Zum brutalen Höhepunkt entwickelt sich, unterbrochen von weiteren Schlaglichtern in Schwarzrotgold, die Geschichte von Rille, Dani und Micha.

furcht und ekel1 700 Martin MisereJasagen, weggucken, Schönfärben, und Kunstblut fließt auch in "Furcht und Ekel" © Martin Miseré

Im Test zum autoritären Charakter hätten sie vielen Aussagen zugestimmt, sie sind Neonazis, vor allem aber dieser: "Sittlichkeitsverbrechen wie Vergewaltigung und Notzucht an Kindern verdienen mehr als bloße Gefängnisstrafe". Ein Gerücht über mögliche pädophile Neigungen eines Bekannten genügt ihnen, um zu foltern und zu töten. Simon Kirsch, Justus Maier, Magda Lena Schlott und Nicolas Streit machen daraus einen wüsten, komisch-brutalen Exzess mit schnellen Rollenwechseln, als Blut fließt "Zigeunersoße".

Was Theater tun kann

Karabulut hat den Text beherzt gekürzt und in eine Art Nazikindergeburtstagsalbtraum zwischen Geranien, Deutschlandfahnen und Gartenzwergen verwandelt. Bei aller kreativen Wucht bekommen die Szenen aber oft nicht die Möglichkeit zu wirken. Am Ende steht wieder die Frage, die das Festival durchzieht, und etwa bei Balkan macht frei schon viel schmerzhafter gestellt wurde. Die Frage, was Theater tun kann oder muss. Nachdem im Team Meeting eine schöne israelische Strand-Kurzgeschichte als nicht theatertauglich weil unpolitisch verworfen wurde, kommt am Ende raus, was immer rauskommt: Eine Projektwoche!

Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute
von Dirk Laucke
NachSpiel Inszenierung Schauspiel Köln
Regie: Pınar Karabulut, Bühne: Franziska Harm, Kostüme: Schwestern Grimm, Dramaturgie: Nina Rühmeier.
Mit: Simon Kirsch, Justus Maier, Magda Lena Schlott, Nicolas Streit, Lou Zöllkau.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.schauspielkoeln.de

 

Mehr zu Dirk Laucke: Beim Heidelberger Stückemarkt 2015 konkurrierte zu jung zu alt zu deutsch um den NachSpielPreis.

 

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