"Das ist realistisches Theater. Oder?"

nachtkritik.de: Du verwendest in deinen Stücken generell keine Interpunktion. Warum?

Anne Lepper: Es lässt sich so leichter schreiben. Ich habe das Gefühl, dass Satzzeichen etwas Behäbiges haben. Man sieht sie ja normalerweise auch nicht. Das Stück kommt auf die Bühne und niemand merkt, ob es Satzzeichen hat.

nachtkritik.de: Aber Dramaturgen und Regisseure befassen sich mitunter damit.

Anne Lepper: Ich denke, die lesen das anders und können das auch ohne Satzeichen. Ein Fragezeichen oder ein Ausrufezeichen gibt dem Schauspieler sehr viel vor und lässt ihm keine Wahl mehr.

nachtkritik.de: Du willst damit also Freiraum schaffen für Interpretation?

Anne Lepper: Vielleicht. So ein Fragezeichen macht vieles kaputt, Kommata verlangsamen den Text, Punkte schaffen etwas Endgültiges.

nachtkritik.de: Gibt es in deinem Stück "Entwurf für ein Totaltheater" einen Satz, der dir besonders aussagekräftig für das Stück erscheint oder der dich länger beschäftigt hat?

Anne Lepper: Ich weiß nicht, ob ich mich mit einem besonders lange beschäftigt habe. Vielleicht gibt es diese Sätze gar nicht.

nachtkritik.de: Oder einer, der dir spontan einfällt.

lepper vita© Dennis WeinertAnne Lepper: Ich glaube, ich finde die meisten Sätze ganz gut. Vielleicht komm ich ja noch darauf...

nachtkritik.de: Was verstehst Du unter Totaltheater?

Anne Lepper: Dieses Stück, aber es ist ja nur eine Vorstufe, ein Entwurf für ein Totaltheater. Aber er ist, glaube ich, ziemlich vollständig.

nachtkritik.de: Du hast ja sehr viele Zitate in das Stück mit einfließen lassen und führst am Ende eine ganze Reihe von Autoren und Musikern auf. Ist das komplette Stück aus Versatzstücken zusammengewürfelt?

Anne Lepper: Nein. Und ich kann auch nicht jederzeit sagen, was ein direktes Zitat oder was einfach nur so eingeflossen ist. Bei den englischen Stellen ist es klar, bei Iggy Pop zum Beispiel, aber manchmal kann es auch sein, dass ich nur eine Idee übernommen hab oder es gar nicht mehr darin vorkommt.

nachtkritik.de: Außer Patti Smith sind auf der Liste nur Männer vertreten. War das beabsichtigt oder Zufall?

Anne Lepper: Das war keine Absicht. Und kein Zufall.

nachtkritik.de: Im Gegensatz dazu verkörpern die Männer im Stück nur Rollen, vor denen die Protagonistin Bonnie versucht zu fliehen. Ironie des Schicksals?

Anne Lepper: Ja, so würde ich es sehen. Ich schaue kaum Filme von Frauen zum Beispiel. Mir fällt jetzt beispielsweise auch nicht das Äquivalent zu Ernst Lubitsch oder Alfred Hitchcock ein.

nachtkritik.de: Sicherlich auch weil sehr wenige Frauen in diesem Bereich einen solchen Bekanntheitsgrad erreicht haben.

Anne Lepper: Genau. Ich bin im Mainstream unterwegs und darum stoße ich wohl immer auf Männer.

nachtkritik.de: Könntest du in Kürze die Handlung von deinem Stück skizzieren?

Anne Lepper: Nein. Ich sag jetzt nein, weil ich das so öde finde, weil eine Zusammenfassung gar keinen Eindruck vom Stück vermittelt. Weil es dann auf die bloße Handlung heruntergebrochen wird und das trifft es nicht.

nachtkritik.de: Sondern?

Anne Lepper: Ohne es gelesen oder gesehen zu haben, kann man gar nicht verstehen, was das Stück ist.

nachtkritik.de: Anders gefragt: Was ist die Intention des Stückes?

Anne Lepper: Darüber habe ich auch gerade nachgedacht, worum es vielleicht geht. Um Erlösung, oder?

nachtkritik.de: Oder um die Unmöglichkeit von Erlösung in unserer Gesellschaft?

Anne Lepper: Der Polizeichor sagt, dass es die Möglichkeit gegeben hätte, sie aber versäumt wurde. Der Moment der Erlösung wurde verpasst, das heißt, dass irgendwo im Stück auch Erlösung möglich gewesen sein muss.

nachtkritik.de: Aber siehst du dein Totaltheater denn als Parabel auf unsere Gesellschaft? Wie realitätsnah ist dein Stück?

Anne Lepper: Das ist realistisches Theater. Oder?

nachtkritik.de: Das habe ich mich auch gefragt. In Teilen bestimmt oder als extrem verdichtete Version vielleicht.

Anne Lepper: Aber was daran vielleicht realistisch ist, dass Alternativen zu haben nicht bedeutet, die Wahl zu haben.

nachtkritik.de: Du meinst, unserem gesellschaftlichen System könne man nicht entfliehen?

Anne Lepper: Ich hab mir vorhin noch einmal "Das Stadtwappen" von Kafka angeschaut, weil das auch im Stück vorkommt: Eine Stadt, die den Turm zu Babel bauen will, aber – von der Aufgabe überfordert – ganz lethargisch wird und depressiv bei dem Gedanken, dass das Vorhaben sinnlos ist. Deshalb, so steht es in den letzten beiden Sätzen, sei im Stadtwappen eine Riesenfaust abgebildet. Weil die ganze Stadt darauf hoffe, dass irgendwann eine Riesenfaust käme, die mit fünf Schlägen alles zerschmetterte.

Das Gespräch führte Max Büch.

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